Keynotes
Keynote 1: „Universitäre Lehrräume − Orte disziplinärer (Schreib-)Praxis?“
Für das Schreiben-Lernen an Hochschulen ist es eine offene Frage, inwiefern Studierende Teil disziplinärer Fach- und Praxisgemeinschaften sind und inwiefern für sie überhaupt ein entsprechender Erwerbskontext für Schreibkompetenzen gegeben ist. Üblich ist, dieser Frage mit dem Konzept der Enkulturation zu begegnen. Das sehe ich kritisch, da das Konzept offen lässt, wie genau sich der Prozess der Enkulturation vollzieht.
Angeregt durch das Tagungsthema − der Auseinandersetzung mit ‚Writing Spaces‘ − möchte ich vorschlagen, das Problem empirisch anzugehen, d. h. sich typische Lehrräume der Universität, z. B. Sprechstunden und Seminarsitzungen, daraufhin anzusehen, ob und inwiefern hier disziplinäre (Schreib-)Praxis eine Rolle spielt. Hierfür entwickele ich ein begriffliches Instrumentarium, das praxistheoretisch angelegt ist. Der Kerngedanke ist, dass damit Räume als relationale Gebilde gefasst werden können. Sie sind weder Container, in denen sich Interaktionen unberührt vollziehen, noch determinieren sie, wie Interaktionen ablaufen. Sie legen aber kulturell erwartbare Formen des Gebrauchs (z. B. durch Sitzanordnungen) und Rollenmuster nahe, die dann in der Interaktion aktiviert und mitunter auch modifiziert werden.
Mit der von mir vorgeschlagenen Perspektive verändert sich der Blick auf das Schreiben-Lernen an Hochschulen. Gegenstand des Interesses ist nun nicht mehr Enkulturation in eine oftmals als zu homogen unterstellte „scientific community“, sondern die unterschiedlichen und für gewöhnlich wechselnden Bezugsrahmen, mit denen Lehrende und Studierende gleichermaßen umgehen müssen, um disziplin- und fachspezifische Schreibkompetenz hervorzubringen. Damit eröffnen sich nicht nur neue Wege für empirische Forschung. Der Blick auf die Verschachtelung von Rahmen und ihr je spezifisches Ineinandergreifen kann in der Beratung von Lehrenden genutzt werden, um möglicherweise nicht intendierte Folgen von Schreib- und Lehrarrangements abzusehen und mit neuen Formen der (Schreib-) Lehre zu experimentieren.
Swantje Lahm ist seit 2002 Mitarbeiterin im Schreiblabor (Zentrum für Lehren und Lernen) an der Universität Bielefeld. Derzeit koordiniert sie das Projekt „Richtig einsteigen mit literalen Kompetenzen“. In diesem Projekt entwickeln 17 Lehrende aus 15 Fachbereichen Konzepte, um durch das Schreiben fachliches Lernen in der Studieneingangsphase zu fördern. Sie ist Autorin von „Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende“ (2016).
Keynote 2: „Schreiben in digitalen Räumen: Zukunft des Schreibens − oder bereits Gegenwart?“
Die Digitalisierung hat in den letzten vierzig Jahren alles auf den Kopf gestellt, was die Gutenberg-Ära uns an Schreibtechniken, Literalitätsformen und Textwelten hinterlassen hat. Nicht allein die Schreibprogramme in unseren Computern waren für diese Revolution verantwortlich, sondern auch die Flut an Innovationen, die im Gefolge von Internet & Co. entstanden sind. Zusammen mit den Neuerungen des Cloud-Computings und Machine Learnings haben wir jetzt Maschinen zur Verfügung, die nicht einfach Schreibmedium sind, sondern das Denken und Formulieren beim Schreiben aktiv unterstützen oder sogar selbst die Textproduktion übernehmen.
Wir werden die Entwicklung der Digitalisierung des Schreibens kurz rekonstruieren und dann mit Thesis Writer ein eigenes Tool vorstellen, das zeigt, welche Möglichkeiten die neue Technologie heute bietet. Thesis Writer enthält einen neu gestalteten, virtuellen Arbeitspatz für Schreibende, der eine ganze Serie unterstützender Tools in Klickweite bereithält. Prozessunterstützung, rhetorische Hilfen, Kooperations- und Feedbackmöglichkeiten, Projektmanagement und einiges mehr sind so in den Arbeitsplatz integriert, dass sie den Schreibfluss unterstützen, ohne die Schreibenden allzu sehr im Denken zu unterbrechen.
In diesem Beitrag werden wir auch darauf eingehen, welche Dimensionen diese digitalen Neuerungen angenommen haben und wie wir uns in der Schreibdidaktik der Auseinandersetzung mit ihnen stellen können. Wir werden, um in der Metapher des Räumlichen zu bleiben, den Seamless-Learning-Ansatz bemühen, um zu zeigen, wie sich die Kontexte verschoben haben und weiter verschieben, in die studentisches Schreiben eingebunden ist.
Otto Kruse promovierte und habilitierte in Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Er war lange Zeit als klinischer Psychologe sowie als Professor für Psychologie der sozialen Arbeit tätig und zuletzt als Professor für Angewandte Linguistik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dort leitete er das Centre for Academic Writing. Seine Forschungsschwerpunkte: Didaktik des wissenschaftlichen Schreibens, Digitalisierung des Schreibens, kritisches Denken.
Christian Rapp leitet den Bereich Bildungstechnologie an der School of Management and Law der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Er koordiniert(e) mehrere EU/SNF-Projekte in den Bereichen Schreibtechnologie (Thesis Writer, Seamless Writing Technologies), Seamless Learning (www.seamless-learning.eu) und Social-Media-Integration in die Hochschullehre (www.socialmediaforeducation.org).
Keynote 3: „With whom are you going to share it?“ − Gemeinsame Zeit-Räume fürs Schreiben
Schreiben gilt als einsame Tätigkeit. Der einsame Poet in der Dachstube, die Wissenschaftlerin im Elfenbeinturm, Autorinnen und Autoren, die vor dem leeren Bildschirm mit Worten ringen – solche Bilder sind uns vertraut. Gibt man bei Google „Schreiben“ in die Bildsuche ein, so erscheinen auch dort ausnahmslos Bilder, die eine Tätigkeit suggerieren, bei der die Schreibenden allein sind. Und vielleicht macht auch gerade diese Vorstellung einen Teil der Faszination des Schreibens aus: Ich mit mir, meinem Schreibgerät und meinen Worten, mehr brauche ich nicht, um neue Texte zu schaffen. Doch alle Schreibenden wissen, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Niemand schreibt im Nirgendwo. Immer sind da schon Texte, die andere Menschen geschrieben haben, und die schreiben mit. Dann sind da auch noch die Menschen, an die unsere Texte gerichtet sind. Auch wenn sie nicht anwesend sind – sie sind da. Und nicht zuletzt gibt es diejenigen, die mit uns Co-Autorinnen und -Autoren sind, uns Feedback geben, peer-reviewen, für uns Korrektur lesen, lektorieren, uns verlegen und so weiter. Schreiben hat, gerade in der heutigen Arbeitswelt, nur noch sehr wenig mit Einsamkeit zu tun. Und so verwundert es nicht, dass selbst Virginia Woolf, die für ihre Forderung nach „einem Zimmer für sich allein“ zum Schreiben bekannt ist, in Bezug auf gerade dieses Zimmer gefragt hat: „With whom are you going to share it?“. Um diese Räume geht es uns in unserem Vortrag. Wir möchten uns anschauen, wie Schreib-Räume aussehen, die bewusst für Gemeinsamkeit geschaffen werden. Es geht dabei um Zeit-Räume und um physische Räume, um frei organisierte Räume und um institutionalisierte Räume.
Katrin Girgensohn ist Gründerin des Schreibzentrums der Europa-Universität Viadrina und Professorin für Schreibwissenschaft im BA-Studiengang Kreatives Schreiben und Texten an der Hochschule der Populären Künste Berlin. Ihre Habilitationsschrift „Von der Innovation zur Institution: Institutionalisierungsarbeit am Beispiel der Leitung von Schreibzentren“ (wbv media 2017) widmet sich der Frage, wie an Hochschulen dauerhaft bestehende Räume für das Schreiben geschaffen werden können.
Judith Wolfsberger ist Gründerin und Leiterin des writers’ studio Wien und Autorin von „Frei geschrieben: Mut, Freiheit & Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten“ (4. Aufl.) und „Schafft euch Schreibräume: Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir“ (beide Böhlau). Sie hat in Wien und Berkeley, Kalifornien Geschichte und Wissenschaftstheorie studiert und besucht seit 20 Jahren Schreibseminare in den USA. Sie lehrt an Universitäten, in Firmen und Institutionen.
Abendvortrag: Räume schreibend verschalten
Stephan Porombka denkt in seinem Vortrag darüber nach, in welchen Räumen Texte entstehen. Dabei entdeckt er, dass diese Räume selbst wie eine Art Textur zusammenhängen. Das führt Porombka zu der Idee, dass zum Schreiben von Texten nicht nur das Schreiben selbst gehört. Dazu gehört auch das Weben und Verweben verschiedener Medien und Räume, in denen und mit denen das konkrete Schreiben an Texten überhaupt stattfinden kann. Zeigen wird er das am Beispiel des Umgangs mit Audio-Formaten in Schreibseminaren.
Wer schon mal in die Audios von Stephan Porombka hineinhören will, die er begleitend zu Vorlesungen anfertigt, kann das hier tun.
Prof. Dr. Stephan Porombka war erst Germanist, dann Literaturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Neue Medien und Literaturbetrieb, Hypertext-Experte, Slammer, Kulturjournalist und Projektemacher. Heute ist er experimenteller Kulturwissenschaftler und produktiver Gegenwartsbeobachter, der sich ganz besonders für die Formen und Formate des „Nächsten“ interessiert. Seit 2015 lehrt Stephan Porombka Texttheorie und Textgestaltung an der Berliner Universität der Künste. Letzte Veröffentlichungen: Es ist Liebe (Hanser), Schöner floskeln mit Professor Porombka (Duden), beide 2017.